Ich hatte Ihn gesehen!

Ich tat, als schriebe ich, um Ihn zu täuschen, denn auch Er belauerte mich; und plötzlich spürte ich, war ich sicher, daß Er über meine Schulter las, daß Er da war und mein Ohr streifte.

Ich richtete mich auf, die Hände ausgestreckt, drehte mich so schnell um, daß ich beinahe gefallen wäre. Nun...? Man sah den Spiegel wie am hellichten Tage, aber mich sah ich nicht darin...! Der Spiegel war leer, klar, tief, schimmernd! Aber mein Bild war nicht darin... und ich stand ihm doch gegenüber! Ich sah das große Glas deutlich von oben bis unten. Und ich betrachtete es mit weit aufgerissenen Augen. Und ich wagte nicht näherzutreten, ich wagte nicht, auch nur die geringste Bewegung zu machen, spürte aber, daß Er da war und daß Er auch diesmal entrinnen würde, Er, dessen unwahrnehmbarer Körper mein Spiegelbild verschlungen hatte.

Welche Angst stand ich aus! Dann, mit einem Male, begann ich mich im Grunde des Spiegels in einem Dunst zu sehen, in einem Dunst wie durch eine Wasserschicht hindurch. Und ich hatte den Eindruck, daß dieses Wasser langsam von links nach rechts glitt und mein Bild von Sekunde zu Sekunde deutlicher werden ließ. Es war wie das Ende einer Sonnenfinsternis. Das, was mich verdeckte, besaß anscheinend keine fest abgegrenzten Konturen, sondern eine Art durchscheinender Undurchsichtigkeit, die sich nach und nach klärte. Schließlich konnte ich mich voll erkennen, wie ich das jeden Tag tue, wenn ich mich im Spiegel betrachte.

Ich hatte Ihn gesehen!

 - (novalis)

Guy de Maupassant: Meisternovellen.